Streichhölzer als Burnout-Symbol
Burnout ist ein Wechselspiel aus Arbeitsbelastung und wenig Aktivitäten in der Freizeit.
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Rund jede und jeder Vierte bis Fünfte in Österreich ist gefährdet, Burnout-Symptome zu erleiden. Den meisten fällt erst spät im Verlauf – oder gar zu spät – auf, dass sie völlig überlastet sind. Ein Weg aus dem Krankheitsbild kann ein wochenlanger Aufenthalt in einer Rehabilitationseinrichtung sein. Erst seit dem Jahr 2002 gibt es hierzulande psychiatrische Reha-Einrichtungen, in denen auch von Burnout Betroffene behandelt werden können.

Als ärztlicher Leiter ist Sigurd Hochfellner in der Privatklinik St. Radegund bei Graz für die medizinisch-ärztlichen Belange zuständig. Sie ist eine der größten im Lande mit insgesamt 185 Betten. Dem STANDARD erzählt er im Interview, warum er den komplexen Begriff des "Burnouts" oft falsch interpretiert sieht und warum seiner Ansicht nach Vollzeitarbeit allein nicht der Grund für die starken Erschöpfungszustände ist.

STANDARD: Untersuchungen zeigen, dass die Anzeichen oder Symptome von Burnout ein Viertel der Berufstätigen in Österreich betreffen. Kommen immer mehr Personen mit berufsbedingter Erschöpfung zu Ihnen in die Reha?

Hochfellner: Knapp 70 Prozent unserer Patientinnen und Patienten haben Depressionserkrankungen der verschiedensten Ausprägungen. Aber die Hauptdiagnose "Burnout" ist laut ICD-10 (Anm.: internationale Klassifikation für ärztliche Diagnosen) eher eine Abseitsdiagnose und wird als Hauptdiagnose wenig gestellt.

STANDARD: Wie merken Sie dann, dass ein Patient oder eine Patientin Anzeichen einer arbeitsbedingten Erschöpfung hat?

Hochfellner: Der Begriff Burnout fasst die zehn wichtigsten Symptome zusammen, die keine genetisch biologische Grundlage haben. Dazu zählen Schlaf- und Angststörungen, Stimmungsminderung, Körpermissempfindungen oder Schmerzen ohne organischen Hintergrund. Das Kardinalsymptom ist aber natürlich die allgemeine Schwäche und ein Erschöpfungsgefühl. Diese weisen die meisten Betroffenen bei uns auf.

STANDARD: Wie können Sie dann gezielt mit den Betroffenen daran arbeiten, dass sie sich nach dem Reha-Aufenthalt nicht wieder in zu viel Arbeit stürzen und die Symptome wiederkehren?

Hochfellner: Meiner Ansicht nach gibt es einen Denkfehler im gesamten Burnout-Konzept. Man sieht meist die berufliche Überlastung als Ursache und dass Menschen ausbrennen, weil sie sich im Berufsleben zu sehr verausgaben. Da bin ich anderer Meinung. Ich habe bei hunderten Patientinnen und Patienten mit diesen Symptomen nachgefragt, wie ihre berufliche Belastung und wie andererseits ihr Freizeitverhalten aussieht. Jene, die manifest psychisch krank werden, haben in den Jahren davor regenerative Aktivitäten massiv vernachlässigt.

"Psychische Gesundheit ist immer eine Frage der Energiebilanz. Solange man mehr Energie einnimmt, als man ausgibt, bleibt man also psychisch gesund. Umgekehrt entsteht auf Dauer ein Komplex an psychischen Erkrankungen, den man mit Burnout umschreiben kann." (Sigurd Hochfellner) "

STANDARD: Aber ist es nicht letztlich die dauerhafte Überbeanspruchung im Job, die viele krank macht?

Hochfellner: Das gibt es natürlich auch, keine Frage. Meines Erachtens aber nur, wenn eine Arbeitszeit von 40 Stunden dauernd überschritten wird. Aber auch weitere Faktoren können ursächlich sein, wie systematisches Mobbing, Bossing, wenn es zu laut ist oder man mit Giftstoffen arbeiten muss oder wenn Kündigungen anstehen und die Leute um die Sicherheit ihres Jobs fürchten müssen. Wenn der Arbeitsplatz in Ordnung ist, kann aus meiner Sicht eine 40-stündige Wochenarbeitszeit allein kein Burnout auslösen.

STANDARD: Das ist doch sehr individuell.

Hochfellner: Ja, psychische Gesundheit ist immer eine Frage der Energiebilanz. Das heißt: Wie viel Energie wird ausgegeben und wie viel wird eingenommen? Solange man mehr Energie einnimmt, als man ausgibt, bleibt man also psychisch gesund. Umgekehrt entsteht auf Dauer ein Komplex an psychischen Erkrankungen, den man mit Burnout umschreiben kann.

Sigurd Hochfellner
Sigurd Hochfellner ist seit 2002 ärztlicher Leiter in verschiedenen Reha-Einrichtungen für psychisch Erkrankte. Seit sechs Jahren hält er diese Position in der Klinik St. Radegund bei Graz.
SANLAS Holding

STANDARD: Wie nehmen Sie das bei Ihren Patientinnen und Patienten wahr, haben diese alles aufgegeben, was ihnen eigentlich Energie geben würde?

Hochfellner: Unsere Betroffenen haben meist ihre Hobbys sukzessive aufgegeben. Sie gehen nicht mehr wandern, nicht mehr schwimmen, im Winter nicht mehr Skifahren oder Eislaufen, besuchen keine Konzerte, gehen auf keine Party oder Veranstaltung mehr. Ein Hauptgrund, warum die Behandlung in einer Reha-Klinik wirkt, ist ja, dass die Betroffenen aus ihrem gewohnten Umfeld wegkommen und während des Aufenthaltes keine Energieverluste haben.

STANDARD: Wie genau arbeiten Sie dann daran, dass die Personen bei Ihnen wieder Kraft gewinnen?

Hochfellner: Das Haupttherapieelement ist die psychotherapeutische Gruppe, in der sich zwölf Personen unter therapeutischer Anleitung austauschen. Sie finden einerseits Problemlösungen, wirksam ist hier aber vor allem auch die konkurrenzfreie, wohlwollende Interaktion zwischen den Menschen. Psychiatrische Behandlungen bekommen sie durch ärztliche Visiten zweimal in der Woche, gegebenenfalls mit medikamentöser Behandlung. Ein wesentlicher Teil aber ist Bewegung, an der Sporttherapeuten und -therapeutinnen mit ihnen arbeiten, auch in der Natur.

STANDARD: Apropos Therapeutinnen und Therapeuten: Wie stellen Sie in Zeiten eines starken Fachkräftemangels sicher, dass die Betroffenen auch eine qualitativ hochwertige Behandlung bekommen?

Hochfellner: Wir haben hier das Glück, dass wir alle Pflegeposten voll besetzen können, und es bewerben sich auch mehr interessierte Ärztinnen und Ärzte, als wir anstellen können. Ich denke, wir erreichen das dadurch, dass wir ein höheres Ziel verfolgen und nicht eigene Interessen in den Vordergrund stellen. Genau das ist das generelle Problem seit Jahrzehnten: dass das höhere Ziel Gesundheit letztlich unter die Räder wirtschaftlicher Kostenzwänge gekommen ist. Außerdem werden vielerorts die eigentlichen Berufsinhalte zurückgefahren. Das heißt, der direkte Kontakt zum Patienten wird immer weniger und der Kontakt mit dem Computer und der Bürokratie ist immer mehr geworden.

STANDARD: Welche Maßnahmen sollte es generell im System noch geben für eine optimale Versorgung von psychisch Erkrankten?

Hochfellner: Die Nachbetreuungsmöglichkeiten sollten verbessert werden. Dazu gehört bezahlte Psychotherapie und ambulante Nachbetreuungszentren. Aber das Allerwichtigste wäre, dass Leute schon früh genug in die psychiatrischen Reha kommen. Idealerweise dann, wenn sie erstmalig aus psychischen Gründen nicht mehr arbeitsfähig sind. Da hat sich leider in den letzten 20 Jahren wenig verändert. Es dauert noch immer durchschnittlich zehn Jahre, bis Betroffene zum ersten Mal in eine psychiatrische Reha kommen. (Melanie Raidl, 3.5.2024)