Grüne Landschaft.
Nicht nur die ÖVP steht dem Gesetz ablehnend gegenüber. Auch die SPÖ-geführten Bundesländer Wien, Kärnten und das Burgenland sträuben sich.
APA/FRANZISKA ANNERL

EU-weit/Brüssel/Wien – Der von rund 170 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern zu Beginn der Woche geäußerte Appell, die Bundesländer mögen die Zustimmung Österreichs zum EU-Renaturierungsgesetz nicht weiter blockieren, dürfte ungehört verhallen. Dass die ÖVP bei ihrem Nein bleiben will, machten zuletzt Bundeskanzler Karl Nehammer und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner deutlich. Auf APA-Nachfrage bekräftigen nun auch die SPÖ-regierten Bundesländer, bei ihrer ablehnenden Haltung bleiben zu wollen.

Abstimmung kurzfristig verschoben

Das geplante Nature Restoration Law sieht vor, dass künftig mehr Wälder aufgeforstet, Moore wiedervernässt und Flüsse in ihren natürlichen Zustand versetzt werden. Nach langen Verhandlungen wurde es in einer abgeschwächten Form, die viele der früheren Kritikpunkte wie eine mögliche Gefährdung der Ernährungssicherheit berücksichtigte, im EU-Parlament beschlossen. Ende März wurde es von der belgischen Ratspräsidentschaft beim Rat der EU-Umweltminister jedoch kurzfristig von der Agenda genommen, als sich vor der finalen Absegnung des Gesetzes keine qualifizierte Mehrheit (mindestens 55 Prozent der Mitgliedsländer, die zudem mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, Anm.) abzeichnete.

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) ist durch eine ablehnende "einheitliche Länderstellungnahme" – die Bundesländer in Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung Landessache ist, abgeben können – die Zustimmung verwehrt. Bis zum nächsten EU-Umweltrat am 17. Juni in Luxemburg könnte diese gekippt werden und Österreich mit einem Umschwenken "europäische Naturschutzgeschichte schreiben", hatte der vom WWF Österreich initiierte und auch von der Universitätenkonferenz (Uniko) unterstützte offene Brief angeregt. "Der Zeitpunkt zu handeln ist jetzt, nicht erst in einer katastrophenbeladenen Zukunft. Hinsichtl und Rücksichtl müssen ausnahmsweise Zurückhaltung üben", meinte Uniko-Präsident Oliver Vitouch. Von der APA eingeholte Stellungnahmen begraben nun diese Hoffnungen.

"Die Stadt Wien steht natürlich zu ihrer Verantwortung, Biodiversität zu fördern und Wiederherstellungsmaßnahmen zu setzen", versichert etwa der Wiener Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ). Wien habe sich "grundsätzlich für die Zielsetzungen der EU-Verordnung ausgesprochen" und etwa im Bereich der Wiederherstellung städtischer Ökosysteme zu "deutlichen Verbesserungen im Entwurfstext" beigetragen. Es seien aber für andere Bundesländer relevante Fragen etwa bei der Wiedervernässung von Mooren ebenso offen wie budgetäre Fragen. "Alleine können das die Bundesländer jedenfalls nicht stemmen", so der Stadtrat, der auch die ungeklärte "Frage der formalen Erfordernisse der Abänderung eines derartigen Beschlusses" ins Spiel bringt. Unabhängig davon lege sich Wien "in der Frage Biodiversitätsförderung sowie des Arten- und Lebensraumschutzes ordentlich ins Zeug und nimmt schon jetzt eine Vorreiterrolle ein" und bereite eine "Biodiversitätsoffensive" vor. "Aktuell laufen auf europäischer Ebene intensive Verhandlungen; da gibt es viel Dynamik. Dass Biodiversität das zentrale und dringende Thema neben der Klimakrise ist, steht jedenfalls außer Zweifel", so Czernohorszky zur APA.

Gesetz für Kaiser "leider schlecht gemacht"

Auch die zuständigen SPÖ-Politiker aus Kärnten bekräftigen das Nein zur Renaturierungsverordnung. Als Schwächung der Position der Partei in Sachen Klimaschutz will man die Ablehnung allerdings nicht verstanden wissen: "Der Schutz von Natur und Umwelt, der Schutz unserer Fauna und Flora, der Schutz gesunder Lebensbedingungen für unsere Kinder" sei ihm ein Herzensanliegen, betonte Landeshauptmann Peter Kaiser. Schutzmaßnahmen seien deshalb nötig und "grundsätzlich zu begrüßen", hieß es weiter, bevor das große "Aber" ins Spiel kommt: Diese Maßnahmen müssten einer "der Lebensrealität entsprechenden Prüfung und Betrachtung" unterzogen werden. Wenn sie mögliche negative Auswirkungen auf die Bevölkerung haben, so müssten sie überarbeitet werden: "Wissenschaftlich gut gemeint kann mitunter leider schlecht gemacht sein, beziehungsweise ist es leider nicht immer mit der Lebensrealität der Menschen vereinbar."

Darauf, dass die Verordnung seit ihrer Ablehnung bereits deutlich verändert worden war, ging ein Sprecher Kaisers auf Nachfrage nicht ein. Nur so viel: "Warum wir seitens der Landeshauptleute den aktuellen Entwurf einer Renaturierungsverordnung ablehnen, hat einzig und allein den Schutz der Bevölkerung und der Zukunft unserer Kinder als Grund." Kaiser sieht etwa durch die Stilllegung von Ackerflächen die Lebensmittelsicherheit gefährdet, es müsse weiters ausgeschlossen werden, "dass Naturschutzmaßnahmen mehr oder weniger zu verordneten Enteignungen führen". Außerdem sei nicht klar, ob aufgrund der Verordnung Hochwasserschutzbauten zurückgebaut werden müssten. Kärnten würde das Thema der Wiederherstellung der Natur ernst nehmen, was etwa durch die gemeinsam mit Landesrätin Sara Schaar (SPÖ) umgesetzten Natura-2000-Schutzgebiete deutlich werde.

Auch im Burgenland wurde betont, dass die Grundsatzidee der Europäischen Kommission, Ökosysteme zu renaturieren, grundsätzlich unterstützt wird und dass der Naturschutz hierzulande einen hohen Stellenwert hat. Die Bundesländer hätten sich von Beginn an konstruktiv an den Verhandlungen beteiligt und gemeinsam mit anderen Mitgliedsstaaten am Entwurf mitgewirkt. Den rechtlichen und fachlichen Bedenken sei jedoch nur bedingt Rechnung getragen worden, hieß es aus dem Büro der zuständigen Landeshauptmann-Stellvertreterin Astrid Eisenkopf (SPÖ). Der Hauptkritikpunkt habe sich auf nicht realisierbare Zielvorgaben bezogen, sowohl was den Inhalt als auch den Zeitplan betrifft.

Trotz "vielfacher Urgenz" seitens der Mitgliedsstaaten würden noch immer Antworten auf essenzielle Fragen fehlen. Nicht geklärt sei etwa der für die Wiederherstellungsmaßnahmen heranzuziehende Bezugszeitraum oder die Bereitstellung finanzieller Mittel etwa für Entschädigungszahlungen. Es gebe daher große Bedenken bezüglich der Umsetzbarkeit der Verordnung – vor allem in so kurzer Zeit, hieß es aus dem Burgenland. Wenn Vorhaben durch EU-Organe geändert werden, informiere das Bundeskanzleramt die Verbindungsstelle der Bundesländer. Es stehe den Ländern frei, ihre einheitliche Stellungnahme dann entsprechend anzupassen. Die Anpassung müsse einheitlich sein, es sei irrelevant, wenn ein einzelnes Land seine Meinung ändert. (APA, 3.5.2024)