Alexis Ivy Edge
Alexis Ivy Edge ist kein echter Mensch, sondern wurde via KI erschaffen. Die User auf Instagram chatten trotzdem mit ihr.
https://twitter.com/AlexisIvyedge

Wie viele andere Menschen nutzt auch das Team des KI-Newsletter den Fenstertag für einen kleinen Urlaub, weshalb wir für diese Woche einen Beitrag zu einem ebenso zeitlosen wie aufregenden Thema vorbereitet haben: Sex. Oder konkreter: imaginärem Sex mit virtuellen KI-Bots. Den Trend gibt es schon länger, doch wie in so manch anderem Teilgebiet der KI gab es auch hier zuletzt wieder interessante Entwicklungen.

So gilt Candy.ai als bekannteste Plattform für das Erstellen virtueller Freundinnen, mit denen die zumeist männlichen User ihre Fantasien ausleben. Allerdings ist der Gestaltungsspielraum hier äußerst eingeschränkt, die KI-Bots folgen gewissen Schablonen. Eine Lücke, die von der Plattform GPTGirlfriend gefüllt wird, wie mein Kollege Alexander Amon beschreibt: Hier kann nicht nur das Aussehen, sondern auch der Charakter des Bots mit entsprechenden Prompts frei definiert werden.

Kreativ oder kriminell?

Es gibt bei GPTGirlfriend sogar ein Ranking der besten Bot-Erschaffer, und der Kollege hat sich mit einem erfolgreichen User über dessen Vorgangsweise unterhalten. Spannend: Der User mit dem Nutzernamen "Slugcouture" befindet sich im realen Leben in einer glücklichen Beziehung und sieht die Erstellung der Bots eher als eine Möglichkeit, seine Kreativität auszuleben. Wichtig ist ihm das Erschaffen von Chatbots, die "Persönlichkeit" haben.

Damit ist er der Gegenentwurf zu jenem Bild, das andere User derartiger Plattformen abgeben. So hat sich Kollegin Lisa Breit mit einem 35-jährigen Schweden unterhalten, der die Plattform Candy.ai nicht zuletzt zum Ausleben sexueller Machtfantasien nutzt. Explizite Details veröffentlicht die Kollegin bewusst nicht, verrät aber: Es geht mitunter um Vergewaltigungen und Inzest.

Virtuelle Influencerinnen

Längst haben auch virtuelle Influencerinnen Plattformen wie Instagram erobert. Der Unterschied zu realen Menschen ist beim Durchscrollen kaum noch zu erkennen, schnell sind mit Tools wie Midjourney oder Stable Diffusion entsprechende Bilder erstellt. Die User wiederum chatten mit den virtuellen Avataren, als wenn es echte Menschen wären – und zwar selbst dann, wenn im Profil explizit darauf hingewiesen wird, dass es sich um keine echte Person, sondern ein KI-Werk handelt. Als exemplarisch gilt hier das Profil der virtuellen Emily Pellegrini, von welcher beim Onlyfans-Konkurrenten Fanvue auch explizite Inhalte käuflich erworben werden können.

Zu erwarten ist, dass diese Entwicklung in Zukunft weiter an Dynamik gewinnen wird. Erstens, weil sich die Qualität der Bilder-KIs verbessert: Midjourney ermöglicht inzwischen zum Beispiel auch, die gleiche virtuelle Person in unterschiedlichen Situationen darzustellen. Zweitens, weil auch andere Medienformen immer leichter mit KI generiert werden können: Text-to-speech-Wandler wie jener von Eleven Labs sind kein Novum mehr. Doch Ende April sorgte Microsoft mit einer Demo für Aufsehen, bei der Standbilder und Audiodateien miteinander zu Videos von sprechenden Personen kombiniert wurden. Für Erschaffer virtueller Influencerinnen ist das ein gefundenes Fressen.

Und drittens darf man sich fragen, wie sich Open-Source-Technologien auf die Szene der Sex-Bots auswirken, lassen sich die frei verfügbaren Modelle doch für eigene Zwecke verwenden. Das ist keine Zukunftsvision, sondern wurde schon im Sommer 2023 mit Metas Llama umgesetzt – und zwar leider auch für Gewalt-, Vergewaltigungs- und Kindesmissbrauchsfantasien.

Dunkle Seiten

Das Ausleben von Fantasien zu illegalen Handlungen ist nicht die einzige Schattenseite dieser Entwicklungen. Denn User vertrauen ihren virtuellen Affären allerlei persönliche Details an, weshalb unter anderem darüber spekuliert wird, dass die Chats sich auf das Wahlverhalten auswirken könnten. An anderer Stelle wiederum warnen Datenschützer davor, zu viele Informationen mit den Bots zu teilen – unter anderem, weil diese teils an Werbetreibende weitergegeben werden.

Über all dem schwebt als Metathema jedoch das Thema Einsamkeit und Auswirkungen auf die menschliche Interaktion. Und so betonen Befürworter der Technologie, dass introvertierte Menschen mit den Bots "üben" können, bevor sie das Gespräch mit echten Menschen suchen. Kritiker wiederum befürchten, dass durch eine exzessive Verwendung der virtuellen Freundinnen unrealistische Erwartungen entstehen: Denn die KI widerspricht nicht, sie ordnet sich devot dem User unter.

Kollegin Lisa Breit hat genau dieses Thema im Interview offen mit der Medienpsychologin Astrid Carolus besprochen. Carolus hält es für unwahrscheinlich, dass menschliche Beziehungen durch KIs ersetzt werden, stattdessen werden sie komplementär existieren. Menschen werden weiterhin Menschen lieben, möglicherweise ergänzt durch den Kontakt mit Technologie. "Wir sehen immer die Dystopie, und in vielen Bereichen sollten wir das auch", sagt die Expertin abschließend: "Aber wir sollten uns auch vor Augen führen: Was wollen wir? Was ist denn der Mehrwert, den wir davon haben? Das gilt auch für die soziale Ebene." (Stefan Mey, 11.5.2024)